80 Jahre Neuanfang Oberlandesgericht Graz: Wie der österreichische Rechtsstaat in Kärnten und der Steiermark wiederaufgebaut wurde
Eine neue Studie wirft Licht auf den Wiederaufbau der Justiz nach der NS-Zeit. Bei einer Tagung am Oberlandesgericht Graz wurden Forschungsergebnisse präsentiert.
Gerichte waren von Bomben getroffen worden, es fehlte an Personal und mangelte an wesentlichen Dingen wie Schreibmaschinen: Das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren war auch ein Neubeginn für die österreichische Justiz. Im Gedenkjahr 2025 widmet sich das Oberlandesgericht Graz gemeinsam mit dem Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, dem Institut für Geschichte der Universität Graz und dem Steiermärkischen Landesarchiv der Frage, wie der Rechtsstaat in Kärnten und der Steiermark nach den Schrecken der NS-Justiz wiedererrichtet wurde. „Es war ein beispielloser Neuanfang, der sich nicht einfach gestaltete, aber zu starken rechtsstaatlichen Strukturen führte“, sagte Michael Schwanda, Präsident des OLG Graz.
In einer neuen Pilotstudie wurde der Wiederaufbau der Justizverwaltung am OLG Graz erstmals nachgezeichnet. Gernot Obersteiner, Direktor des Steiermärkischen Landesarchivs, merkte an: „Es wurden die Akten aus dieser Zeit aufgespürt und wissenschaftlich untersucht. Das sind einzigartige Quellen“. Die Aktenfunde spiegeln die großen Herausforderungen wider, mit denen das OLG als Gericht und Dienstbehörde damals zu kämpfen hatte: „Die Justiz stand vor einer Herkules-Aufgabe“, erwähnte Barbara Stelzl-Marx, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung und Professorin für Europäische Zeitgeschichte an der Universität Graz. Bei einer Tagung am OLG Graz präsentierte sie am Dienstag, dem 29. April 2025, erste Ergebnisse der Pilotstudie.
„Kaleidoskop an Herausforderungen“
In ihrem Vortrag sprach Stelzl-Marx von einem „Kaleidoskop an Herausforderungen“: Kriegsschäden an der Infrastruktur, Personalmangel, Entnazifizierung in den eigenen Reihen, Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten, Beteiligung an der Gesetzgebung und Umsetzung einer demokratischen Rechtsprechung. Führende Expert:innen referierten bei der Tagung zur Bedeutung des Neuanfangs der Gerichtsbarkeit in der jungen Zweiten Republik. Die Themen reichten von den Richtern der NS-Justiz in Graz, den Volksgerichtsprozessen, den britischen Militärgerichten bis hin zur Entnazifizierung und zum Wiederaufbau der Justiz. Kurt Bauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, hielt einen Vortrag zum Thema „Die Entnazifizierung am Beispiel der österreichischen Exekutive“.
Mit dieser Aufarbeitung soll auch die Wichtigkeit von starken rechtsstaatlichen und demokratischen Strukturen aufgezeigt werden; Errungenschaften, die man sich aus der Perspektive des Jahres 1945 gar nicht vorstellen konnte und die weltweit auch heute nicht als selbstverständlich erachtet werden können.