Das deutschsprachige Exil in Kanada

Flucht und Vertreibung von Österreich nach Kanada nach dem „Anschluss“ 1938 wurden bislang nur fragmentarisch untersucht; eine systematische und umfassende Erforschung des erzwungenen Exils in Kanada ist noch ausständig. Das Forschungsprojekt möchte dazu beitragen, das bestehende Forschungsdesiderat zu verringern.

Projekt: „Flucht, Deportation, Internierung. Auf den Spuren österreichischer NS-Flüchtlinge in Kanada“

Das Projekt rückt einen in Österreich (und auch in Deutschland) bislang wenig rezipierten Aspekt der Exilforschung in das Blickfeld. Es werden Namen, biografische Grunddaten und, wenn verfügbar, weitere Daten jener Männer erfasst, die 1938/39 vor den Nationalsozialismus nach Großbritannien geflüchtet waren und auf drei Schiffen im Juli 1940 als „enemy aliens“ nach Kanada deportiert und dort in Internierungslagern festgehalten wurden. Die in kanadischen, britischen und österreichischen Archiven erhobenen Daten sollen eine Grundlage schaffen, um die Österreicher in der Gruppe der verschifften deutschsprachigen Flüchtlinge zu identifizieren und können als Basis für weitere biografische und kollektiv-biografische Untersuchungen, etwa zur Ermittlung der geografischen und sozialen Herkunft der so genannten „internierten Flüchtlinge“, ihrer Altersstruktur und beruflichen Ausbildung bzw. ihrem weiteren Werdegang in Kanada oder anderswo dienen.

Im Zuge der Recherchen wurden bislang 663 Österreicher unter den nach Kanada deportierten Flüchtlingen identifiziert. 343 Männer kehrten während des Zweiten Weltkriegs nach Großbritannien zurück; nachdem die unrechtmäßige Deportation von Flüchtlingen nach Kanada dem britischen Parlament und der Öffentlichkeit bekannt geworden und stark kritisiert worden war, hatte die britische Regierung eine Rückkehrmöglichkeit nach einer individuellen Fallprüfung eingeräumt. Weitere sieben Österreicher wurden in Drittstaaten entlassen (z.B. Kuba, Argentinien) und 313 österreichische Männer verblieben in Kanada. Sie wurden in einem rund zweijährigen Prozess bis Ende 1943 aus der kanadischen Internierung entlassen. Ein Großteil von ihnen verblieb in Kanada und baute sich dort ein neues Leben auf. Ein kleinerer Teil wanderte später weiter (v.a. in die Vereinigten Staaten von Amerika); Gründe dafür waren Ausbildungsmöglichkeiten, Arbeitsangebote oder auch der Wunsch, mit überlebenden Verwandten wieder zusammen leben zu können.

Im Rahmen der Projektarbeit wurden mehrere Vorträge im Rahmen von Konferenzen in Kanada, Österreich, Polen und Deutschland gehalten bzw. folgt ein weiterer Vortrag im Jänner 2023 in London (Birkbeck College, London University).

Es wurden zwei Peer-Reviewed-Artikel in englischer Sprache („Traveling knowledge: Refugees from Nazism and their Impact on Art Music and Musicology in post-1945 Canada“ und „Forced to flee and deemed suspect: Tracing life stories of interned refugees in Canada during and after the Second World War”) für Anthologien verfasst, die bei Routledge bzw. im Transcript Verlag erscheinen.

Ein weiterer Beitrag wird in dem von Gabriele Anderl herausgegebenen Sammelband „Hinter verschlossenen Toren – die Internierung von Geflüchteten von den 1930er Jahren bis in die Gegenwart“ veröffentlicht (Theodor Kramer Verlag Wien).

Projektteam: Andrea Strutz (Leitung), Michaela Tasotti und Thomas Schreiber.
Fördergeber: Zukunftsfonds der Republik Österreich, P19‐3632 und  Land Niederösterreich

Project: “Flight, Deportation, Internment: Tracing Austrian Refugees from Nazism in Canada”

The research aims to shed light on those refugees from Nazism who had to flee from Austria to Britain, were deported to Canada and detained there in internment camps. The data collected in Canadian, British, and Austrian archives should provide a basis for identifying these Austrians and will serve as a basis for further biographical and collective biographical research, e.g. to determine the geographic and social origin of the so called “interned refugees”, their age structure and vocational training or their subsequent lives in Canada or elsewhere.

During research, 663 Austrians have so far been identified among the refugees deported to Canada. 343 men returned to Great Britain during the Second World War; after the unlawful deportation of refugees to Canada had become known to the British Parliament and the public and had been strongly criticized, the British government had granted a possibility of a return after an individual case examination. Another seven Austrians were released to third countries (e.g. Cuba, Argentina) and 313 Austrian men remained in Canada. They were released from Canadian internment in a process that lasted about two years, until the end of 1943. A large number of them remained in Canada and built a new life there. A smaller number of them later moved on (mainly to the United States of America); reasons were education, job offers or the desire to be able to live together again with surviving relatives.

As part of the project work, several presentations were given at conferences in Canada, Austria, Poland and Germany, and another presentation will follow in January 2023 in London (Birkbeck College, London University). Two peer-reviewed articles in English („Traveling knowledge: Refugees from Nazism and their Impact on Art Music and Musicology in post-1945 Canada“ and „Forced to flee and deemed suspect: Tracing life stories of interned refugees in Canada during and after the Second World War“) have been written for anthologies published by Routledge and Transcript, respectively. A further contribution will be published in the anthology “Hinter verschlossenen Toren – die Internierung von Geflüchteten von den 1930er Jahren bis in Gegenwart“ edited by Gabriele Anderl (Theodor Kramer Verlag Vienna).

Project team: Andrea Strutz (head), Michaela Tasotti and Thomas Schreiber.
The research is funded by the Future Fund of the Republic of Austria, P19‐3632 and the Federal Government of Lower Austria.

a. Historisches Quellenmaterial, Alex Dworkin Canadian Jewish Archives, Montreal; Foto: Strutz/BIK