Besatzungskinder

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen in ganz Österreich und Deutschland sogenannte Besatzungskinder auf die Welt: als Folge freiwilliger sexueller Beziehungen zwischen einheimischen Frauen und Besatzungsangehörigen, aber auch als Folge von Vergewaltigungen.

Sie galten als „Kinder des Feindes“, obwohl die Väter de jure keine Feinde mehr waren, und waren – gemeinsam mit ihren Müttern – meist unterschiedlichen Formen von Diskriminierung ausgesetzt. Im Rahmen des Projekts wird erstmals ein Überblick über die Situation der Besatzungskinder in den unterschiedlichen Besatzungszonen Österreichs, ihre Sozialisations- und Lebensbedingungen sowie ihre weiteren Biografien gegeben.

Die Rolle der österreichischen (Nachkriegs-) Gesellschaft wird dabei ebenso berücksichtigt wie jene der (ehemaligen) Besatzungsmächte. Diese akribische Spurensuche soll dieses vielfach bis heute tabuisierte Thema der Öffentlichkeit zugänglich machen und eine Lücke in der österreichischen Zeitgeschichteforschung schließen.

Im Oktober 2013 startete im Rahmen des Projektes in Kooperation mit der Universität Leipzig (PD Heide Glaesmer) eine Studie zum psychischen Befinden von Besatzungskindern in Deutschland und Österreich. Ziel dieser Studie ist, das aktuelle psychische Befinden der Betroffenen und ihre Erfahrungen als Besatzungskinder zu beschreiben. Formen der Identitätsentwicklung und Stigmatisierung sowie die psychosozialen Aspekte des Aufwachsens als Besatzungskind stehen dabei im Vordergrund. Dies soll dazu beitragen, Transparenz für das Thema in der Öffentlichkeit zu schaffen und die Situation von „Kindern des Krieges“ auch in aktuellen internationalen Krisengebieten zu verbessern. Bereits unmittelbar nach dem Start der Studie meldeten sich über hundert Betroffene, die mittels Fragebogen über ihre Erfahrungen als Besatzungskinder Auskunft geben.

Im Mai 2015 erschien der von Barbara Stelzl-Marx herausgegebene Sammelband „Besatzungskinder. Die Nachkommen alliierter Soldaten in Österreich und Deutschland“, der die ersten Ergebnisse dieser Forschungen zusammenfasst.

9. Mai 2017

Symbolische Anerkennung für sowjetische Besatzungskinder aus Österreich

Erstmals wurden mit Eleonore Dupuis und Hanni Fassler zwei „Befreiungskinder“ aus Österreich eingeladen, am „Marsch des Unsterblichen Regiments“ (Бессмертный полк) in Moskau teilzunehmen. Am 9. Mai 2017 versammelten sich 800.000 Menschen in Moskau, um die Erinnerung an Rotarmisten, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatten, aufrecht zu erhalten. Für die Nachkommen sowjetischer Soldaten und österreichischer Frauen stellt diese offizielle Teilnahme eine wichtige symbolische Anerkennung von ihrem Status dar. Bis heute befinden sich zahlreiche Besatzungskinder auf der Suche nach ihren Wurzeln.

Children Born of War – Past Present Future

„Children Born of War“ bezeichnet Kinder, die – unabhängig von Zeitpunkt der Geburt und geopolitischem Kontext – in Folge sexueller Kontakte zwischen einheimischen Frauen und fremden Soldaten in Konflikt- und Postkonfliktsituationen zur Welt kommen.

Der Zeugungshintergrund der Kinder umfasst einvernehmliche sexuelle Kontakte, wie Liebesbeziehungen, die in eine Heirat münden, Affären bis hin zu „Versorgungspartnerschaften“ und „(Überlebens-)Prostitution“, aber auch sexuelle Ausbeutung sowie Vergewaltigungen. Das von der Europäischen Union geförderte Horizon2020 Marie Skłodowska-Curie Actions Innovative Training Network „Children Born of War – Past Present Future” untersuchte zwischen 2015 und 2019 die Erfahrungen von „Children Born of War“ in verschiedenen Konflikt- und Postkonfliktsituationen des 20. Jahrhunderts. Es erforschte, ob und wie sich Militärbehörden und Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen an der Integration dieser Kinder – und deren Mütter – in den jeweiligen Gesellschaften beteiligten. Gleichzeitig wurden Faktoren aufgezeigt, welche die psychosoziale Entwicklung der Kinder, die Erinnerung an den Krieg im Allgemeinen, aber auch gesellschaftliche Normen und Vorstellungen beeinflussten.

Barbara Stelzl-Marx ist „Director of Research“ des CHIBOW-Netzwerkes. Am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung verfasste Lukas Schretter im Rahmen des Netzwerkes seine Dissertation „Britische Besatzungskinder. Die Nachkommen britischer Soldaten und österreichischer Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg“ im Rahmen des Netzwerkes. Neben dem Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung sind unter anderem die Universität Leipzig, die Universität Augsburg, die Universität Katowice, die Universität Lettland und das Psychotraumacentrum Zuid Nederland Mitglieder des Netzwerkes. Die Koordination des CHIBOW-Netzwerkes obliegt der Universität Birmingham.

Ein Sammelband, der die Ergebnisse des CHIBOW-Forschungsnetzwerkes beinhaltet, ist bei Routledge erscheinen. Dieses Buch wurde von der einflussreichen Zeitschrift CHOICE im August 2022 als „recommended“ eingestuft.

Children Born of War (CHIBOW)

Von Pionierinnen der St. Pöltner Kinder- und Jugendfürsorge und ledigen Müttern als ihren Fällen: Ein Beitrag zur lokalen Geschlechtergeschichte

Das zweisemestrige BA-Projekt widmet sich der Geschichte der niederösterreichischen Fürsorge bzw. Kinder- und Jugendhilfe aus dem Blickwinkel der Geschlechterperspektive. Die Studierenden arbeiten empirisch: Im Mittelpunkt stehen historische Quellenrecherchen, ergänzend werden qualitative Interviews mit Frauen, die noch Erfahrung mit der Amtsvormundschaft als ledige Mütter gemacht haben, bzw. mit pensionierten Sozialarbeiter:innen durchgeführt. Dadurch wird ein Beitrag zur lokalen Professionsgeschichte im Berufsfeld Kinder- und Jugendhilfe geleistet.

Die Lehrveranstaltung versteht sich als ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, welches Sozial(arbeits)- und Geschichtswissenschaft miteinander verknüpft, und ist in das first-Forschungsnetzwerk für interdisziplinäre Regionalstudien eingebunden.

Projektteam: Anne Unterwurzacher (Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung), Nadjeschda Stoffers

Projektlaufzeit: 01.09.2023–30.09.2024

Weitere Informationen auf der Homepage der FH St. Pölten
a. FH St. Pölten, Foto: BIK/Stoffers