icon / home icon / small arrow right / light News icon / small arrow right / light Bruno Kreisky, neu betrachtet – Anna Graf-Steiner in Minneapolis
04 Mai 2023 von lbik

Bruno Kreisky, neu betrachtet – Anna Graf-Steiner in Minneapolis

Die Historikerin sprach bei der University of Minnesota in Minneapolis über die von Ernüchterungen geprägte Rolle, die der ehemalige Bundeskanzler beim Zustandekommen der „KSZE-Schlussakte“ 1975 gespielt hatte.

In Graf-Steiners Vortrag bei der Konferenz  Bruno Kreisky – A Reassessment an der University of Minnesota in Minneapolis ging es, so die Forscherin, „um eine Neubewertung von Bruno Kreiskys Rolle beim Zustandekommen der Schlussakte bei der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) 1975.“ Unter dem Titel Kreisky, the Soviet Union, and the Road to Helsinki arbeitete die BIK-Historikerin heraus, dass „Kreisky kein großer Befürworter der Konferenz war, was damit zusammenhing, dass ’sein‘ Weg zur KSZE-Schlussakte von drei Enttäuschungen geprägt war: Erstens  wurden seine Bemühungen, die Konferenz nach Wien zu holen, nicht belohnt. In Gesprächen hatte er zwar stets betont, ‚einer Regierung vorzustehen und keinem Reisebüro‘, dennoch hatte er offensiv für Wien als Konferenzort geworben. Die Sowjetunion hatte die Ortsfrage bewusst lange offengehalten, um ein Druckmittel gegenüber den neutralen Staaten zu haben. Man wollte das Interesse Österreichs, internationale Konferenzen und Gespräche nach Wien zu holen und damit die Neutralität unter Beweis zu stellen, nützen. Schließlich fiel die Entscheidung auf Helsinki und Genf.“

Die zweite Enttäuschung, so Graf-Steiner „war, dass die Nahostfrage nicht auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Kreisky war vehement für den Einschluss dieses Themas eingetreten und hatte die österreichische Delegation angewiesen, sich für ihren Einschluss einzusetzen. Die Delegation musste aber rasch feststellen, mit diesem Thema völlig isoliert zu sein und auf keine Zustimmung von Seiten der anderen Staaten rechnen zu können. So brachte die österreichische Delegation die Frage – in Abstimmung mit Außenminister Rudolf Kirchschläger – auch alsbald nicht mehr vor. Kreisky ließ in Gesprächen mit internationalen Staatsführern jedoch nicht davon ab, dass eine Erörterung der Nahostfrage einen wichtigen Beitrag zur europäischen Entspannung leisten könne – und verlor das Interesse an der Konferenz, als er merkte, diese Forderung nicht durchbringen zu können.

Die dritte Enttäuschung für Kreisky war, dass die Schlussakte auf Ebene der Diplomaten vorbereitet wurde – und nicht auf der von ihm bevorzugten höchsten politischen Ebene. Die zähen diplomatischen Verhandlungen betrachtete er als zu langwierig. Er stimmte mit der Forderung der Warschauer-Pakt-Staaten, allen voran Moskaus, überein, dass die Verhandlungen so schnell wie möglich beendet werden sollten, damit die Staatschefs ein Schlussdokument unterzeichnen könnten. Dass sich die Verhandlungen vor allem aufgrund der von den westlichen NATO-Staaten und neutralen Staaten eingeforderten humanitären Bestimmungen (‚Dritter Korb‘) drehten – und die österreichische Delegation sich hier besonders engagiert einsetzte – ignorierte Kreisky bzw. erachtete er als unwesentlich, er sprach sich stattdessen als einer der ersten westlichen Staatschefs in Moskau für einen schnellen Abschluss der Konferenz aus. Die österreichische Delegation ließ sich davon aber nicht beirren. Insbesondere ihr Beitrag im humanitären Bereich machte Österreich international zum geachteten Vermittler.“

a. Vorne: W. Petritsch, O. Rathkolb, G. Bischof , A, Graf-Steiner, H. Louthan, G. Cohen; hinten: S. Jasoltowski, M. P. Berg, M. Burri, C. Beitl, L. Johnson, K. McNamara, D. Aschheim
b. US-Präsident Jimmy Carter (l.) mit Bruno Kreisky (c) Library of Congress