Die nationalsozialistische Rassenpolitik beschränkte sich nicht nur auf die Auslöschung „unwerten“ Lebens, sondern umfasste auch die Förderung „erbgesunden“ Nachwuchses. „Heilig soll uns sein jede Mutter guten Blutes“ – mit diesem Leitspruch gründete Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler im Jahr 1935 den Lebensborn (wörtlich: „Quell des Lebens“), um die Geburtenanzahl von Kindern „arischer“ Herkunft zu erhöhen.
Mit Gründung des Lebensborn wurde dessen Satzung verabschiedet. Zu seinen zentralen Aufgaben gehörte, „rassisch und erbbiologisch wertvolle kinderreiche Familien zu unterstützen“, „rassisch und erbbiologisch wertvolle werdende Mütter unterzubringen und zu betreuen, bei denen nach sorgfältiger Prüfung der eigenen Familie und der Familie des Erzeugers durch das Rasse- und Siedlungshauptamt-SS anzunehmen ist, dass gleich wertvolle Kinder zur Welt kommen“, „für diese Kinder zu sorgen“ und „für die Mütter dieser Kinder zu sorgen“. Vor diesem ideologischen Hintergrund unterhielt der Lebensborn zwischen 1936 und 1945 neun Entbindungsheime auf dem Gebiet des heutigen Deutschland. 15 weitere wurden in Österreich, Luxemburg, Belgien, Frankreich und Norwegen betrieben. Das im Jahr 1938 eingerichtete Entbindungsheim „Wienerwald“ (bis 1942: Heim „Ostmark“) im niederösterreichischen Feichtenbach war mit mehr als 1200 Geburten eine seiner größten Einrichtungen. Ab 1942 war der Lebensborn auch an der Entführung und „Eindeutschung“ von Kindern, vor allem aus Ost- und Südosteuropa, beteiligt.
Aktuelle Forschungen
Die Geschichte des Lebensborn als Instrument nationalsozialistischer Bevölkerungs- und Rassenpolitik auf dem Gebiet des heutigen Österreich stellt ein Forschungsdesiderat dar. Dieses Forschungsprojekt bringt auf Grundlage bislang wenig berücksichtigter Quellen neue Erkenntnisse zum Entbindungsheim im niederösterreichischen Feichtenbach zutage: Dazu zählen eine eigens für das Projekt angelegte Datenbank für die quantitative Analyse personenbezogener Akten der Lebensborn-Kinder und ihrer Eltern, die systematische Auswertung von überlieferten und heute in den Arolsen Archives zugänglichen Unterlagen aus dem Tätigkeitsbereich von Gregor Ebner, der unter anderem als Vorstandsmitglied und Leiter der Abteilung Gesundheitsweisen ein zentraler Funktionär des Lebensborn war, sowie die Bearbeitung von Quellen, die im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde lagern. Das gesammelte Material gibt unter anderem Einblick in die Sozialstruktur und Lebensumstände der Frauen, die für eine Aufnahme in das Entbindungsheim in Frage kamen. Zudem geben Tagesabläufe und geregelte Umgangsformen, wie sie für das Heim „Wienerwald“ überliefert sind, einen unmittelbaren Einblick in die Organisationsstruktur sowie die ideologischen Ziele des Lebensborn. Die Verflechtung pro- und antinatalistischer Maßnahmen nationalsozialistischer Rassenpolitik wird in den Biografien jener Lebensborn-Kinder offenbar, deren Ermordung im Rahmen der NS-„Kindereuthanasie“ nachgewiesen werden kann.
Projektförderung: Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank, Land Niederösterreich
Projektbeginn: 2020
Projektleitung: Barbara Stelzl-Marx
Projektmitarbeit: Sabine Nachbaur, Martin Sauerbrey-Almasy, Lukas Schretter, Nadjeschda Stoffers
Werkverträge: Mariana Kienzl, Theresa Reinalter, Hannah Steckelberg, Nadjeschda Stoffers, Michaela Tasotti, Richard Wallenstorfer
Praktika: Felix Hafner, Mariana Kienzl, Theresa Reinalter, Richard Wallenstorfer
Weitere Informationen können dem Tagungsbericht sowie den Medien- und Partnerberichten entnommen werden.